EuG, 12.06.2014 - T-286/09 - dejure.org (2024)

Auszug aus EuG, 12.06.2014 - T-286/09

Die Kommission macht geltend, bei den in Rede stehenden Rabatten handele es sich um "Treuerabatte im Sinne der Hoffmann-La-Roche-Rechtsprechung", wie sie durch das Urteil des Gerichtshofs vom 13. Februar 1979, Hoffmann-La Roche/Kommission (85/76, Slg. 1979, 461, im Folgenden: Urteil Hoffmann-La Roche), begründet worden sei.

Nach ständiger Rechtsprechung liegt eine missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung im Sinne von Art. 82 EG vor, wenn ein Unternehmen, das auf einem Markt eine beherrschende Stellung einnimmt, Abnehmer - sei es auch auf deren Wunsch - durch die Verpflichtung oder Zusage, ihren gesamten Bedarf oder einen beträchtlichen Teil davon ausschließlich von ihm zu beziehen, an sich bindet, ohne dass es darauf ankäme, ob die fragliche Verpflichtung ohne Weiteres oder gegen eine Rabattgewährung eingegangen worden ist (Urteil Hoffmann-La Roche, oben in Rn. 71 angeführt, Rn. 89, und Urteil des Gerichts vom 9. September 2010, Tomra Systems u. a./Kommission, T-155/06, Slg. 2010, II-4361, im Folgenden: Urteil Tomra des Gerichts, Rn. 208).

Das Gleiche gilt, wenn ein solches Unternehmen, ohne die Abnehmer durch eine förmliche Verpflichtung zu binden, kraft Vereinbarung mit ihnen oder aber einseitig ein System von Treuerabatten anwendet, also Nachlässe, die daran gebunden sind, dass der Abnehmer, unabhängig im Übrigen von dem - größeren oder geringeren - Umfang seiner Käufe, seinen Gesamtbedarf oder einen wesentlichen Teil hiervon bei dem Unternehmen in beherrschender Stellung deckt (Urteil Hoffmann-La Roche, oben in Rn. 71 angeführt, Rn. 89, und Urteil des Gerichtshofs vom 19. April 2012, Tomra Systems u. a./Kommission, C-549/10 P, im Folgenden: Urteil Tomra des Gerichtshofs, Rn. 70).

Solche Ausschließlichkeitsrabatte sind, wenn sie von einem Unternehmen in beherrschender Stellung gewährt werden, mit dem Ziel eines unverfälschten Wettbewerbs auf dem Gemeinsamen Markt unvereinbar: Von Ausnahmefällen abgesehen beruhen sie nicht auf einer wirtschaftlichen Leistung, die den finanziellen Vorteil rechtfertigt, sondern zielen darauf ab, dem Abnehmer die Wahl zwischen mehreren Bezugsquellen unmöglich zu machen oder zu erschweren und anderen Herstellern den Zugang zum Markt zu verwehren (vgl. in diesem Sinne Urteil Hoffmann-La Roche, oben in Rn. 71 angeführt, Rn. 90, und Urteil Tomra des Gerichts, oben in Rn. 72 angeführt, Rn. 209).

Solche Rabatte dienen nämlich dazu, die Abnehmer auf dem Wege über die Gewährung eines finanziellen Vorteils vom Bezug bei konkurrierenden Herstellern abzuhalten (Urteil Hoffmann-La Roche, oben in Rn. 71 angeführt, Rn. 90, und Urteil Tomra des Gerichts, oben in Rn. 72 angeführt, Rn. 210).

Aus dem Urteil Hoffmann-La Roche (oben in Rn. 71 angeführt, Rn. 89 und 90) ergibt sich nämlich, dass solche Rabatte eine missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung darstellen, wenn es für ihre Gewährung keine objektive Rechtfertigung gibt.

Der Begriff der missbräuchlichen Ausnutzung erfasst daher im Grundsatz jede ausschließliche Bezugsverpflichtung zugunsten eines Unternehmens in beherrschender Stellung (vgl. in diesem Sinne Urteil Hoffmann-La Roche, oben in Rn. 71 angeführt, Rn. 120, 121 und 123, Urteil BPB Industries und British Gypsum des Gerichtshofs, oben in Rn. 89 angeführt, Rn. 11, und Schlussanträge des Generalanwalts Léger in dieser Rechtssache, oben in Rn. 89 angeführt, Nrn. 46 und 47).

Der Lieferant in beherrschender Stellung ist daher weitgehend ein nicht zu übergehender Geschäftspartner (vgl. in diesem Sinne Urteil Hoffmann-La Roche, oben in Rn. 71 angeführt, Rn. 41, Urteil British Airways des Gerichtshofs, oben in Rn. 74 angeführt, Rn. 75, und Urteil Tomra des Gerichts, oben in Rn. 72 angeführt, Rn. 269).

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass es dem Unternehmen in beherrschender Stellung unbenommen bleibt, die Anwendung eines Systems von Ausschließlichkeitsrabatten zu rechtfertigen, insbesondere indem es nachweist, dass sein Verhalten objektiv notwendig ist oder die dadurch möglicherweise hervorgerufene Ausschlusswirkung durch Effizienzvorteile ausgeglichen oder sogar übertroffen werden kann, die auch dem Verbraucher zugutekommen (vgl. in diesem Sinne Urteil Hoffmann-La Roche, oben in Rn. 71 angeführt, Rn. 90, Urteil British Airways des Gerichtshofs, oben in Rn. 74 angeführt, Rn. 85 und 86, und Urteil des Gerichtshofs vom 27. März 2012, Post Danmark, C-209/10, im Folgenden: Urteil Post Danmark, Rn. 40 und 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Nach dem Urteil Hoffmann-La Roche (oben in Rn. 71 angeführt, Rn. 89) nutzt ein Unternehmen in beherrschender Stellung diese aber missbräuchlich aus, wenn es ein System von Ausschließlichkeitsrabatten anwendet, auch wenn es "die Abnehmer nicht durch eine förmliche Verpflichtung bindet".

Da es sich nämlich um das Verhalten eines Unternehmens in beherrschender Stellung auf einem hierdurch in seiner Wettbewerbsstruktur bereits geschwächten Markt handelt, kann jede zusätzliche Beschränkung dieser Wettbewerbsstruktur eine missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung darstellen (Urteil Hoffmann-La Roche, oben in Rn. 71 angeführt, Rn. 123).

In dem genannten Urteil gehörten zu den in Rede stehenden Verhaltensweisen u. a. Bezugsverpflichtungen, die sich auf 80 % bzw. 75 % des Bedarfs eines Abnehmers bezogen (Urteil Hoffmann-La Roche, oben in Rn. 71 angeführt, Rn. 83).

Denn selbst wenn die von der Klägerin gewährten Rabatte eine Reaktion auf Anfragen und die Nachfragemacht der Abnehmer gewesen sein sollten, rechtfertigt dies nicht die Bedingung eines ausschließlichen Bezugs (vgl. in diesem Sinne Urteil Hoffmann-La Roche, oben in Rn. 71 angeführt, Rn. 89, Urteil BPB Industries und British Gypsum des Gerichts, oben in Rn. 90 angeführt, Rn. 68, und Urteil des Gerichts vom 25. Juni 2010, 1mperial Chemical Industries/Kommission, T-66/01, Slg. 2010, II-2631, Rn. 305).

Wie der Gerichtshof bereits im Urteil Hoffmann-La Roche (oben in Rn. 71 angeführt, Rn. 120) ausgeführt hat, wird eine missbräuchliche Ausnutzung der beherrschenden Stellung nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Vertragspartner des Unternehmens in beherrschender Stellung selbst ein mächtiges Unternehmen und der Vertrag offenkundig nicht Ergebnis eines von dem Unternehmen in beherrschender Stellung auf seinen Partner ausgeübten Drucks ist.

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